Das Modell Kärnten
Kärnten zeigt vor, wie es geht: Erstmals wurden bewusst kriminalisierte Flüchtlinge "präventiv" abgeschoben. Unter lautstarker PR aus Kärnten selbst. Macht diese Rabauken-Politik in anderen Bundesländern Schule?
Von Maria Sterkl
Das war keine Abschiebung. Das ist unser tägliches Geschäft“, sagt Gernot Steiner. Der Flüchtlingsreferent des Landes Kärnten definiert die Causa jener 18 tschetschenischen AsylwerberInnen, die am 7. Jänner wegen eines bloßen Tatverdachts gegen zwei von ihnen unerwartet aus Kärnten nach Traiskirchen abgeschoben wurden, heute als „ganz normalen Fall im Rahmen der Grundversorgung“. Anfang Jänner sah das noch anders aus: Der Fall schlug mediale Wogen - initiiert von Landeshauptmann Jörg Haider höchstpersönlich.
Drei Presseaussendungen ergingen allein am 7. Januar an die Medien: „Gewalttätige tschetschenische Asylwerber werden aus Kärnten abgeschoben!“, lautete die erste, gefolgt von „Asylwerber sind abgeschoben!“ und einem dritten Hinweis: „Zur heute erfolgten Abschiebung gibt es auch Fotos.“
Kollektive Bestrafung Zum Hintergrund: In einer „Hauruck-Aktion“ wurden drei tschetschenische Familien, darunter zehn SchülerInnen und ein viermonatiges Baby, von Kärnten ins Flüchtlingslager Traiskirchen gebracht. Begründet wurde die damals noch als „Abschiebung“ titulierte Aktion mit „massiven Gewaltexzessen“, die sich in der Silvesternacht in einem Villacher Lokal zugetragen hätten: Zwei Söhne eines tschetschenischen Paares seien tatverdächtig, weshalb man nicht nur sie und ihre Familie, sondern auch gleich zwei weitere Familien, deren Söhne denselben Boxclub besuchten, abschieben müsse.
Dass die verdächtigten Jugendlichen gar nicht einvernommen wurden, gibt Steiner zu. „Aber man hat festgestellt, dass sie zum Tatzeitpunkt dort waren.“ Für Jörg Haider Grund genug, die Betroffenen als „gewalttätige“ Menschen zu bezeichnen, die „kein Recht auf Asyl in Österreich und schon gar nicht in Kärnten“ hätten. „Eine gröbliche Missachtung der Unschuldsvermutung“, wie Klaus Ottomeyer, Therapeut eines der betoffenen Asylwerber, meint (siehe Interview).
Auch das Innenministerium distanziert sich: Das Ministerium „unterstützt in keiner Weise die Vorgehensweise der Grundversorgungsstelle Kärnten“, das tatverdächtige Brüderpaar habe laut Polizeiermittlungen „definitiv nichts mit diesen Tätlichkeiten zu tun“, heißt es in einem von der BMI-Bürgerdienststelle gezeichneten Brief an Ottomeyers Beratungseinrichtung Aspis.
Gerichtliches Nachspiel Natürlich habe man lediglich „auf Verdacht“ gehandelt, sagt Gernot Steiner. „Aber wir mussten ja irgendwas tun. Es war Gefahr in Verzug.“ Gefahr für die Villacher? „Nein, für die Tschetschenen. Die österreichischen Jugendlichen haben begonnen, sich gegen die Tschetschenen aufzulehnen. Wir mussten befürchten, dass die auf sie losgehen.“
Gänzlich anders formulierte das Jörg Haider, als er sich zwei Wochen später via Zeitungsinserat an die „lieben Villacherinnen und Villacher“ richtete: „Wer den sozialen Frieden unserer Heimat gefährdet und unsere Hilfe missbraucht, der hat sein Gastrecht für immer verloren!“ Die BewohnerInnen seien aufgerufen, „mich über gewalttätige Asylwerber umgehend zu informieren, damit ich deren sofortige Abschiebung veranlassen kann!“
Diese Aussage könnte für Haider nun zu einem gerichtlichen Nachspiel führen: Dass er selbst Abschiebungen veranlasse, ist für Nadja Lorenz, Anwältin der Betroffenen, ein Hinweis auf Amtsmissbrauch, eine Strafanzeige gegen Haider und Steiner, der die „Abschiebung“ zudem ohne Rechtsgrundlage eingeleitet habe, wurde eingebracht. Bereits Anfang März haben sich die 18 TschetschenInnen außerdem beim UVS Klagenfurt beschwert: Sie seien, zum Teil unter Androhung, dass man sonst „das Asyl einstelle“, zum Einsteigen in den Bus nach Traiskirchen gezwungen worden – laut der SOS-Mitmensch-Vorsitzenden ein Fall menschenrechtswidriger Freiheitsberaubung.
Plötzlich alles anders Zwei Monate nach dem Vorfall rudert Flüchtlingsreferent Steiner nun zurück: Die vermeintliche Abschiebung sei „ein Austausch“ gegen 18 andere AsylwerberInnen gewesen, der vorab mit dem Bundesministerium abgesprochen worden sei. „Wir haben uns die Erlaubnis geholt, noch bevor wir die Leute in den Bus gesetzt haben“, erklärt Steiner. „Ohne die Zustimmung des Innenministeriums hätte Traiskirchen die ja gar nicht reingelassen.“
Doch BMI-Sprecher Rudolf Gollia bestätigt auf MOMENT-Anfrage, dass „nichts akkordiert“ wurde: Kärnten hätte die AsylwerberInnen „einfach aus der Grundversorgung entlassen“. Dennoch habe man sie wieder in die Bundesbetreuung zurückgenommen, „weil sie sonst auf der Straße gesessen wären.“
Es sei „ein Handeln im Sinne der Betroffenen“ gewesen. Aus der Notmaßnahme wurde jedoch bald geschaffene Tatsache. Nur zwei Tage später ließ der Innenminister verlautbaren, man habe sich mit Haider geeinigt: Die Asylsuchenden würden in Traiskirchen bleiben, dafür müssten im Gegenzug 50 andere AsylwerberInnen in Kärnten aufgenommen werden. Prompt reagierte Haider: „18 Asylwerber und keinen mehr!“, titelte eine Presseaussendung. Und siehe da – es blieb bei 18.
Kärnten erfüllt Quote nicht Ob die Vorgehensweise des Ministeriums andere Bundesländer auf den Plan rufen könnte, ebenfalls rechtswidrig – die Verlegung von Grundversorgten setzt eine faktische Notwendigkeit voraus – Asylwerber „loszuwerden“? BMI-Sprecher Gollia beteuert: „Das ist keine Maßnahme, die man immer wieder setzen kann.“
Für Haider entpuppte sich die „Maßnahme“ aber als guter Deal: Die von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisierte „präventive Abschiebung“ geriet zur ministeriell abgesegneten PR-Aktion, die den Landeshauptmann einmal mehr als harten Durchgreifer präsentierte. Dass das BZÖ zeitgleich im Grazer Wahlkampf mit dem Slogan „Wir säubern Graz“ auftrat, ist aus Sicht des Sozialpsychologen Ottomeyer kein Zufall: Die Ausweisung stehe „im Zusammenhang mit einer allgemeinen rassistischen Säuberungsdemagogie“, meint Ottomeyer.
Und es dürfte auch kein Zufall sein, dass kurz zuvor, im Zuge der Schengen-Erweiterung und des höheren Andrangs im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, wieder einmal öffentlich über die Nicht-Erfüllung des Kärntner Aufnahme-Solls debattiert wurde: Das Bundesland betreut zurzeit nur 58 Prozent jener Flüchtlinge, für die es laut Grundversorgungsvereinbarung verantwortlich ist. Mit der Aktion stellte Haider klar: Niemand könne Kärnten vorschreiben, wie viele AsylwerberInnen hier unterkommen. „Jemand, der sich bei uns nicht einfügen und benehmen kann, wird aus Kärnten weggebracht. Was der Bund damit macht, ist mir egal“, so Haider in einer Presseaussendung vom 7. Jänner.
Pühringer – Haider übertrumpfen? Haiders Sheriff-Gehabe fand Nachahmer: Nur vier Tage später legte Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer noch eins drauf. In der Tageszeitung „Österreich“ sprach er sich für die „ehestmögliche“ Abschiebung zweier Tschetschenen aus, die der Vergewaltigung einer Frau verdächtigt wurden – und zwar nicht nach Traiskirchen, sondern gleich in ihr Heimatland.
Dass eine Abschiebung im laufenden Verfahren und ohne Gerichtsurteil rechtswidrig wäre, störte Pühringer nicht. Auch Haiders wenig später folgende Ankündigung, er werde dafür sorgen, dass zwei anderen Tatverdächtigen, anerkannten Flüchtlingen laut Genfer Konvention, der Asylstatus aberkannt wird, ist reiner Populismus: Einem Konventionsflüchtling den Status zu entziehen, setzt laut UNHCR die Verurteilung wegen eines „besonders schweren Verbrechens“ voraus, aus dem „eine Gefahr für die Gemeinschaft“ abgeleitet wird.
Von einem Gerichtsurteil kann jedoch, wie auch Gernot Steiner meint, „noch lange nicht die Rede sein“. Wenn es aber soweit ist, dann sei „die Entscheidung neu aufzurollen“, erklärt Steiner: Die drei Familien, die derzeit auf Wien, die Steiermark und Oberösterreich verstreut leben, könnten dann „möglicherweise nach Kärnten zurückkehren.“ Nachsatz: „Diese Frage stellt sich im Moment aber überhaupt nicht.“
Maria Sterkl ist Redakteurin von derStandard.at