Distanzieren? Ja, aber richtig! Philipp Sonderegger über die hohe Kunst der Distanzierung.
Ein Caritas-Direktor, der AktivistInnen vor den Kopf stößt; eine aufgebauschte Spuckattacke. Von der hohen Kunst der Distanzierung.
In einem Interview Anfang des Jahres bezeichnete Caritas-Wien-Direktor Michael Landau ein Drittel der Refugeecamp-AktivistInnen als „Chaoten“ und „Extremisten“. Eine Äußerung, die er vermutlich heute so nicht mehr tätigen würde. Doch der Schaden war bereits angerichtet. Viele UnterstützerInnen, die sich in den Dienst der Flüchtlinge gestellt hatten, fühlten sich diskreditiert. Von der demobilisierenden Wirkung auf die Proteste ganz zu schweigen. Szenenwechsel: Nach dem Akademikerball machte ein Video der FPÖ auf Facebook die Runde, auf dem eine Spuckattacke auf eine Ballbesucherin zu sehen war. Viele GegnerInnen des Balles distanzierten sich – auch Alexander Pollak, der Sprecher von SOS Mitmensch. In der Folge bauschte sich der Vorfall unter dem Trommelfeuer der FPÖ-Propaganda in manchem Bericht zum blutrünstigen Mob auf. Diese beiden Anlässe machen deutlich, welch hohe Kunst die angemessene Distanzierung darstellt.
NGOs distanzieren sich von AkteurInnen sozialer Bewegungen, wenn sie verhindern wollen, dass ihnen Handlungen zugesprochen werden, die sie nicht verantworten können. Eine ungeschickte Distanzierung kann allerdings sehr schnell zur „Spaltung“ führen. Damit ist nicht eine bloße Abgrenzung sondern auch eine Eskalation gemeint, die unnötig Kräfte bindet und gemeinsame Ziele überlagert. Das passiert vor allem dann, wenn Distanzierungen zu pauschal erfolgen und Widerspruch provozieren. Das Ziel einer angemessenen Distanzierung ist demnach, die taktisch notwendige Unterscheidbarkeit herzustellen, ohne die strategischen Ziele zu gefährden.
Hier einige Anregungen, wie das gelingen kann. Erstens: Distanziere dich von Handlungen, nicht von Personen. Je präziser die Handlung beschrieben ist, desto unmissverständlicher ist die Distanzierung. Zweitens: Benenne auch das Setting der Handlung. Ob ein fragwürdiger Vorfall angemessen war, steht immer in Relation zum Kontext, zu den handelnden und betroffenen Personen. Auch Gerichte beurteilen Straftaten wie zum Beispiel eine Beleidigung danach, wer sie tätigt und wen sie trifft. Drittens: NGOs haben gegenüber Individuen einen klaren Vorteil bei der öffentlichen Durchsetzung ihrer Sichtweise. Deshalb sind Genauigkeit und eine relativierende Kennzeichnung der Aussagen als eigene Position, und nicht als allgemeine Maxime, nur fair. Eine goldene Regel könnte in etwa lauten: Distanziere dich von konkreten Handlungen unter Angabe der Umstände und gib deine Haltung nicht als allgemein gültige Maxime aus.
Philipp Sonderegger ist Experte für zivilgesellschaftliche Organisation und bloggt bei phsblog.at