„Wir Frauen haben gewonnen, wenn es selbstverständlich ist“
Unter 2.100 Bürgermeistern in Österreich finden sich gerade einmal 161 Frauen. Drei Bürgermeisterinnen aus Nieder- und Oberösterreich erzählen über ihre Erfahrungen. Text: Eva Maria Bachinger
Frauen werden erst dann gefragt, wenn es fünf nach zwölf ist, wenn der Zug eigentlich schon fast abgefahren ist“, erinnert sich Elisabeth Feichtinger an die Situation, als es um die Nachfolge des bisherigen Bürgermeisters ging. Die quirlige 30-Jährige sitzt seit 2015 im Chefsessel der Gemeinde Altmünster am Traunsee in Oberösterreich und ist die jüngste Bürgermeisterin Österreichs. Dass Frauen das Oberhaupt einer Gemeinde sind, ist in Österreich immer noch keine Selbstverständlichkeit. Als erste Bürgermeisterin hierzulande wurde 1948 die Sozialdemokratin Zenzi Hölzl gewählt. Vom Beruf Trafikantin stand sie zehn Jahre lang der Gemeinde Gloggnitz in Niederösterreich vor. Der Anteil der Bürgermeisterinnen steigt seitdem zwar, aber nur sehr langsam. Im Jahr 2000, also ein halbes Jahrhundert nach der Wahl Hölzls, zählte man in der Alpenrepublik immer noch bescheidene 45 Bürgermeisterinnen. Und wie sieht es heute aus? Der Gemeindebund weist 2.100 Bürgermeister in Österreich aus, 161 von ihnen sind Frauen. Das entspricht einem Anteil von 7,6 Prozent.
Die meisten gibt es in Niederösterreich mit 64 Bürgermeisterinnen, gefolgt von Oberösterreich mit 30. Den geringsten Anteil verzeichnet Salzburg, wo es mit Stand September 2017 nur fünf Bürgermeisterinnen gab. Tatsächlich wurde in diesem Bundesland erst 2004 die erste Bürgermeisterin angelobt. Österreich liegt laut einem aktuellen Europarat-Bericht unter dem europäischen Durchschnitt von 13,4 Prozent. Die Gründe sind vor allem in struktureller Hinsicht zu suchen: Das Amt bedeutet je nach Größe der Gemeinde viel Arbeit und Präsenz. Der Großteil der BürgermeisterInnen übt daneben auch einen Beruf aus. Wenn zudem kleine Kinder zu versorgen sind, stellt sich die Frage der Vereinbarkeit.
Sitzungen am Abend
Bettina Lancaster, Bürgermeisterin in der kleinen Gemeinde Steinbach am Ziehberg in Oberösterreich, sieht das als Hauptproblem bei der Rekrutierung: „Die Beteiligung von Frauen, besonders von jenen mit kleinen Kindern, ist oft schwer möglich, weil etwa Sitzungen abends sind. Ich kann das schwer ändern, weil ich auch auf Berufstätige Rücksicht nehmen muss.“ Am einfachsten sei die Beteiligung von Frauen, deren Kinder bereits aus dem Haus sind oder von Frauen, die kinderlos sind. Auch Lancaster ist erst nach dem 40. Lebensjahr in die Politik eingestiegen, als ihre Kinder schon älter waren. Die Sozialdemokratin unterstützt deshalb auch das aktuelle Frauenvolksbegehren. Denn: „Es gibt in der Gesellschaft leider nach wie vor eine starke Benachteiligung von Frauen. Auch viele Frauen sehen die strukturelle Benachteiligung nicht mehr, sondern nur wenn sie individuell betroffen sind. Dann werden sie wach und beschweren sich über diese Ungerechtigkeit.“ Dass Frauen nach wie vor nicht gleich für gleiche Leistung bezahlt werden, dass viele Berufsbranchen, wo mehrheitlich Frauen tätig sind, so wenig finanziell anerkannt werden, sieht sie als besonders ungerecht an. Lancaster, Jahrgang 1964, ist 2003 in den Gemeinderat eingezogen und wurde 2009 zur Bürgermeisterin gewählt. 2015 wurde sie im Amt bestätigt. Dass sie als Frau der Gemeinde vorsteht, sei nie besonders thematisiert worden. „Oberösterreich hat ein direktes Wahlrecht. Man tritt also als Person an, für die sich die Bevölkerung entscheidet.“ 2017 wurde sie auch zur SPÖ-Vorsitzenden im Bezirk Kirchdorf gewählt, mit 98 Prozent der Stimmen.
Schnell nach dem Äußeren beurteilt
Wenn man mit Elisabeth Feichtinger aus Altmünster am Traunsee spricht, sprudelt es nur so aus ihr heraus. Bereits mit 21 Jahren war sie Gemeinderätin. Ihre Motivation? „Mit 19 Jahren habe ich bemerkt, dass viele meiner Freunde weggezogen sind, weil sie sich die Wohnungsmieten nicht mehr leisten oder auch keinen Baugrund kaufen konnten. Nur Jammern bringt nichts, sondern man muss was tun. Deshalb bin ich in den Gemeinderat gegangen.“ Mit zwölf Jahren hatte sie sich zu Weihnachten ein Buch von Bruno Kreisky gewünscht. Später hat sie alle Parteiprogramme durchforstet und fand sich „bei den Sozialdemokraten wieder“. Sie war voll jugendlichem Elan, wie sie lachend erzählt: „Es ging alles recht zackig, ich wollte dann natürlich alles von heute auf morgen ändern. Aber ich wurde im Gemeinderat rasch eines Besseren belehrt. Politisch etwas umzusetzen, braucht viel Zeit und Geduld.“ Als junge Frau saß sie zuerst im Sozialausschuss, als Vizebürgermeisterin kam sie in den Bau- und Finanzausschuss, der mehrheitlich von Männern besetzt war.
2015 wurde die SPÖ stimmenstärkste Partei. „Sehr überraschend“, weil seit dem Zweiten Weltkrieg Altmünster immer von der ÖVP dominiert war, und das Bürgermeisteramt meist von älteren Männern bekleidet wurde. Bereits 2014 wurde sie von Kollegen als Vizebürgermeisterin vorgeschlagen, als der bisherige aus beruflichen Gründen das Amt niederlegte. Der persönliche Kontakt zu den Menschen war und ist ihr wichtig: Energiegeladen hat sie innerhalb von drei Monaten im Wahlkampf unter anderem mit dem Motto „Sie kochen den Kaffee, ich bringe den Kuchen“ 4.706 Haushalte besucht. „Diese Zahl werde ich nie vergessen“. Auf die Frage, ob es ein Thema ist, dass sie als Frau Bürgermeisterin ist, meint sie: „Ich glaube, ein Bürgermeister muss ein Menschenfreund sein. Das ist das Wichtigste. Dann ist man am richtigen Platz, egal ob Mann oder Frau. Ich mache einfach meinen Job. Nur manchmal denke ich mir, würden sie das auch bei einem jungen Mann sagen? Etwa, wenn ich höre, so eine fesche Bürgermeisterin, so lieb und nett. Frauen werden einfach sehr schnell nach ihrem Äußeren beurteilt.“ Sie unterstützt „unbedingt“ das Frauenvolksbegehren. Denn: „Wir Frauen sind mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung, aber an den Entscheidungstischen sitzen noch immer mehrheitlich Männer.“ Sie fordert Lohntransparenz um die Einkommensunterschiede endlich zu beenden und Verbesserungen im Pflege-, und Betreuungsbereich, wo mehrheitlich Frauen arbeiten.
Ohne Quote an die Spitze
Im nördlichen Waldviertel an der Grenze zu Tschechien liegt Gmünd mit 5.500 EinwohnerInnen. Dort regiert ebenfalls eine Frau: Helga Rosenmayer. Die ÖVP-Politikerin kam im Jahr 2000 in den Gemeinderat. „Es wurde mir ganz ehrlich gesagt: Wir brauchen Frauen.“ Ihr Mann und ihre Kinder haben sie bei ihrem Schritt unterstützt. Später wurde sie Stadträtin für Gesundheit und Bildung, 2012 Vizebürgermeisterin. Als die SPÖ 2015 in Gmünd die absolute Mehrheit verloren hatte, kam sie zum Zug: Es wurde eine Dreier-Koalition von ÖVP, FPÖ und AFG-Liste gebildet und Rosenmayer wurde Bürgermeisterin. „Mir persönlich sind Achtung und Respekt vor jedermann für ein friedliches Miteinander ein wichtiger Grundgedanke. Ich möchte eine Bürgermeisterin für alle sein, egal welcher politischer Richtung. Mir ist wichtig, dass ich auf alles gut reagiere, was die Menschen bewegt, die großen und die kleinen Dinge.“ Das bewies die Bürgermeisterin auch bei der Integration von Flüchtlingen im Ort. Anfangs gab es auch Angst und Skepsis, aber letztlich haben viele Menschen privat geholfen. „Je besser die Menschen aufgeklärt werden, umso besser ist es für alle“, so Rosenmayer.
Mittlerweile sei es selbstverständlich, dass sie als Frau das Bürgermeisteramt innehat. “Am Anfang wurde es noch mehr betont. Ich glaube, wir Frauen haben gewonnen, wenn es zur Selbstverständlichkeit wird.” Für eine Quote um mehr Frauen in Spitzenpositionen zu bekommen, kann sie sich nicht begeistern. „Das ist doch auch diskriminierend. Für Frauen und Männer. Nur weil man eine Frau ist, soll man ein bestimmtes Amt bekommen? Alle sollen gleichberechtigt sein und der Beste oder die Beste soll zum Zug kommen. Es wird sich im Laufe der Zeit dahingehend entwickeln, dass Frauen ebenso überall vertreten sind wie Männer, aber nicht durch eine Quote bestimmt.” Zum Frauenvolksbegehren meint sie: “Es ist ein buntes Sammelsurium an Forderungen, die ich nicht alle unterstützen kann. Dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt werden muss, das muss einfach passieren, das ist klar.” Elisabeth Feichtinger freut sich auch über kleine Veränderungen. Wenn sie etwa in den Stammbüchern der Mädchen liest, dass als Berufswunsch nun immer öfter „Bürgermeisterin“ genannt werde. „Wenn es vorgelebt wird, tut sich etwas“, ist Feichtinger überzeugt.
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